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mittwoch mittag mit Anja Kühn - Make-up-Artist & Hairdesigner

»Vertragen Businessfotos Make-up, wenn die Person darauf sich nie schminkt?« stellt sie die Frage in den Raum und erklärt mir, dass sie gerade eine angenehme Diskussion darüber mit einer Fotografin hatte.

Illustration einer Frau mit Locken, die einen Make-up Pinsel hält

 

Zwei Frauen, zwei Meinungen. So beginnen wir direkt unser Treffen, dass uns zuerst zu Fuß durch den Johannapark spazieren lässt. Ich überlege kurz. Ich bin pro Make-up. Für ein leichtes, dezentes und Frische gebendes Make-up, weil es die Fotografien aufwertet und weniger nachbearbeitet werden muss.


Vom Smalltalk zum Deeptalk – was Make-up bewirkt


Anja Kühn ist Make-up-Artist und Hairdesignerin. Aus ihrer beruflichen und professionellen Sicht dürfen Make-up und Fotografie sich ergänzen, ohne zu verfälschen. Ein Mensch, der sich sonst nie schminkt, darf auf Businessfotos ein leichtes Finish mit dekorativer Kosmetik vertragen. Vielleicht Augenschatten überdecken, die von einer zu kurzen Nacht übrig sind, ein wenig Frische mit Rouge auf die Wangen zaubern und das Lächeln mit einem zarten Lippenstift in Szene setzen. Für Businessfotos, die wirken und nach dir aussehen. Und schon sind wir mittendrin im schönsten Smalltalk über Lidschatten, Wimperntusche und Co.


Der geht jedoch relativ schnell in Deeptalk über. Nämlich darüber, was Make-up noch kann, wo es unterstützt, hilft und das Selbstbewusstsein stärkt. Ich gebe zu, ich bin sehr affin und auch geübt, was dekorative Kosmetik betrifft. Doch auch ich wandte mich schon Rat suchend an Anja. Das war im letzten Herbst, ich suchte nach Tipps und Tricks, wie ich mein Gesicht in meinen Vierzigern besser und frischer betonen kann. Jetzt, wo die Festigkeit meiner Haut nachlässt und das Leben tiefere Spuren hinterlässt. Ich wollte meinen Glow zurück und mein inneres Strahlen noch mehr im Außen zeigen.


Ein Gesicht lesen: Mein Termin bei Anja


Drei Stunden verbrachte ich mit Anja in ihrem Studio, drei Stunden, in denen es ausschließlich um mich ging. Wir schwatzten zuerst über alltägliche Dinge, damit ich bei ihr ankommen konnte und wir uns besser kennenlernen. Dann schminkte ich mich ab – meine größte Hürde. Nackt im Gesicht, verletzlich und pur saß ich Anja gegenüber, die nun in meinem Gesicht las. Struktur und Ordnung, sagen meine Augenbrauen, aber auch, dass ich eine gute und aufmerksame Zuhörerin bin. Eine, mit der man sich hervorragend unterhalten kann. Über Struktur und Ordnung lächelte ich erst – heute, gute sieben Monate später, nicke ich bejahend. Denn die letzten Monate lehrten mich, dass ich genau das brauche, um in meiner Kraft zu stehen. 

 

Physiognomie nennt man das, was Anja mit mir macht. Gesichter lesen. Dann beginnt sie die Hälfte meines Gesichtes zu schminken. Die andere Hälfte darf ich übernehmen. Stück für Stück erfrischt und strafft mein Gesicht sich im Spiegel. Die Augenschatten verschwinden und meine Augen strahlen so, wie ich es mag.


Ich trage wenig Lippenstift, weil ich bis heute nicht die richtige Farbnuance gefunden habe. Anja schlägt mir einen Rosenholz-Ton vor. Passt. Mein Mund lächelt mir eingefärbt entgegen. Ungewohnt, aber schön. Dann lassen wir aus dem Tages-Make-up ein Abend-Make-up entstehen. Smokey-Eyes und ein wenig mehr Glamour. Ich nicke meinem Spiegelbild und Anja zu. Ich fühle mich wohl. Immer noch wie ich, nur frischer und strahlender. Zum Abschluss buche ich Anja direkt für meine Hochzeit im Jahr darauf. 


Schönheit neu betrachten – mit Blick und Gefühl


Mittlerweile ist Mai und wir sitzen wir in der Luise, in der Leipziger Gottschedtstraße. Wir bestellen Getränke und einen Lunch. Anja erzählt mir von einem Make-up-Kurs für Jugendliche, an dem sie aktuell arbeitet. Damit sich diese jungen Menschen genau da abgeholt fühlen, wo es am meisten zwickt – am Selbstbewusstsein.


Jeder Mensch ist schön, sagt Anja. Und jeder Mensch hat die Möglichkeit, seine Vorzüge zu unterstreichen. Außerdem möchte sie ihr Wissen um Physiognomie stärker einsetzen, um Zweifel in Vertrauen zu wandeln. Eine vermeintlich zu großer Nase zeugt von Stärke und Führungspersönlichkeit und ist kein Makel. Kleine Augen sind konzentrierter als große Augen, diese stehen wiederum für ein intuitives Gefühlsleben. Schmale, feste Lippen weißen auf einen festen Charakter hin und auf Menschen, die wissen, was sie wollen.


Meine kleinen Ohren sagen zum Beispiel, dass ich nicht gern im Mittelpunkt stehe, eher bescheiden auftrete und sehr kreativ bin. Dem stimme ich zu.


Mir gefällt die Idee, besondere Merkmale in einem anderen und besonderen Licht zu betrachten. Gerade bei Heranwachsenden, die durch den täglichen Hormon-Tango eher voller Selbstzweifel, als selbstsicher sind. Aber auch gestandenen Menschen hilft das Wissen um Physiognomie und die Unterstützung eines guten Make-ups weiter.


Ich bin sehr glücklich mit meinen neu erworbenen Erkenntnissen, den Tricks und Tipps, die mir Anja mit auf den Weg gab.


Durch das Zeichnen von Gästen auf Events, aber auch durch das Schreiben von Geschichten, blicke ich schon lange anders auf Menschen und ihre Gesichter. Ich mag eine ausgeprägte Mimik und lese genau zwischen den Zeilen, während ich illustriere. Manchmal zeigt sich mir dabei eine ganze Lebensgeschichte, manchmal nur ein Augenblick.


Zwei Frauen stehen zusammen und machen ein Foto von sich.

Während wir in der Luise unser Besteck über unser Mittagessen kreisen lassen, wird mir klar, wie viel Tiefe in einem scheinbar oberflächlichen Thema wie Make-up steckt. Anja sieht Gesichter mit anderen Augen – genauso wie ich, wenn ich zeichne oder schreibe. Was uns verbindet, ist der Blick für das Wesentliche hinter dem Sichtbaren. Für das, was Menschen ausstrahlen, oft bevor sie es selbst sehen.Und vielleicht ist genau das der schönste Gedanke, der von unserem Mittag bleibt: Dass ein bisschen Farbe, ein wenig Wissen – und eine gute Portion gegenseitiger Wertschätzung – reichen, um sich selbst (wieder) mit anderen Augen zu sehen.


Danke, Anja – für deine Perspektive, deine Ruhe, deinen Blick. Und für ein Gespräch, das viel mehr war als Smalltalk bei einem Lunch.


Herzlichst, Mandy

 

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