»Können Sie bitte meiner Nichte Bescheid geben, dass ihr Onkel da ist.« spricht der Mann eine Mutter in seiner Nähe an und zeigt auf meine Tochter.«
Es ist 16.00 Uhr, wir sitzen an der Tischtennisplatte auf dem Schulhof, wo mein Kind die Reste ihrer Brotdose genüsslich verzehrt. Gleich wollen wir gehen. Ich hatte den Mann am Zaun zur Schule schon bemerkt. Er trägt eine auffällige Weste und schaut konzentriert in unsere Richtung. Als er mit der anderen Frau spricht und diese mir zuwinkt, bitte ich mein Kind sitzen zu bleiben und gehe beiden entgegen.
»Was gibt es?«, frage ich im Laufen.
»Der Mann sagt, er ist der Onkel des Mädchens dort.«, entgegnet mir die Frau unsicher und zeigt auf meine Tochter.
Ich schaue den Mann an. Er wirkt geistig nicht beieinander. Uns trennen ungefähr zwanzig Meter.
»Ich denke nicht, dass er der Onkel ist. Das wüsste ich, denn ich bin die Mutter des Kindes!« erkläre ich scharf.
Plötzlich wendet sich der Mann ab und entfernt sich schnellen Schrittes zwischen den Häuserreihen hindurch. Ich schüttele den Kopf und denke noch: »So ein Freak.«
Eine weitere Mutter beobachtete das Ganze. Sie ruft mir zu, dass sie in die Schule geht und der Schulleitung Bescheid gibt. Ich nicke ihr dankend zu und gehe zu meinem Kind zurück.
»Mami, was wollte der Mann?«, fragt sie neugierig. Ich blicke auf mein Mädchen und überlege, wie ich ihr die Situation erkläre.
»Weißt du noch, dass Papi und ich dir beständig erklären, dass du bitte nicht mit Fremden sprechen oder sogar mitgehen darfst?«
Sie nickt und blickt mich nun ängstlich an.
»Weißt du, nicht alle Menschen meinen es gut, auch wenn es im ersten Moment so aussieht. Dieser Mann eben – er wollte, dass du zu ihm kommst. Ich kenne den Grund nicht, aber allein dass er sich als dein Onkel ausgibt, lässt mich aufhorchen.«
»Aber Mami, das war nicht mein Onkel. Den Mann kannte ich nicht.«
Wir sprechen über den Vorfall und darüber, was sie machen kann, wenn diese Situation sich wiederholt. Vor allem, wenn sie allein ist.
Wie kannst du dein Kind schützen? Wir haben eine Punkte-List erstellt, die ich gern teilen möchte.
Neun erste Maßnahmen zum Schutz
Wenn Fremde dich ansprechen, gehe weiter. Auch wenn sie noch so nett scheinen. Sprich NICHT mit ihnen.
Wenn du von Fremden angesprochen wirst und sie dich bitten mitzugehen, dir etwas geben wollen oder dich sogar anfassen: Schrei ganz laut STOP und HILFE! Noch besser ist eine direkte Sie-Ansprache: »Lassen Sie mich in Ruhe!« Zeige deiner Umwelt, dass hier etwas passiert, was du nicht willst.
Manchmal reagieren die Menschen in deinem Umfeld nicht auf deine Warnrufe. Sprich direkt die nächste Person an und bitte um Hilfe. Wenn du wählen kannst, gehe auf eine Frau , am besten mit Kindern zu. Sie wird dir am ehesten helfen. (wissenschaftlicher und statistischer Stand)
Wenn niemand in der Nähe ist, gehe SOFORT aus der Situation heraus. Lauf weg. Verstecke dich nicht! Bleib sichtbar! Sobald dir jemand über den Weg läuft, bitte um Hilfe. Laut und deutlich!
Lass die Person die Polizei anrufen und anschließend mich. Meine Nummer kennst du auswendig.
Gehe auch mit dieser angesprochenen Person nicht weg, sondern irgendwohin, wo noch mehr Menschen sind. In einen Supermarkt, zum Bäcker oder in ein anderes Ladengeschäft, Ärztehaus. Warte dort auf mich (oder Papi). Es gibt zudem Geschäfte, die deutlich einen blauen Punkt an den Schaufensterscheiben als Aufkleber angebracht haben. Diese Geschäfte sind sicher. Dort bekommst du Hilfe. Ich zeige dir diese auf deinem Schul- und anderen Wegen.
Niemand darf dich aus der Schule oder dem Hort mitnehmen, der nicht auf der Abholliste steht. Ausnahmen besprechen wir Eltern mit deiner Horterzieher:in oder Klassenlehrer:in.
Gehe auch nicht mit dem Papa, der Mama oder einer anderen Person deiner (Klassen-) Freunde mit, ohne unsere Erlaubnis. Das betrifft alle Personen, die du kennst und die dich nach Hause oder an einem anderen Ort mitnehmen wollen. Ohne unser Wissen und die Bestätigung, bleibst du, wo du bist. Kurz: frage uns vorab immer, ob du mitgehen darfst.
Unser CODEWORT! Das ist so wichtig! Wenn jemand an unserer Tür klingelt oder dich anspricht und meint, wir, deine Eltern hätten ihn geschickt – lass ihn zuerst von sich aus das Codewort nennen. Wenn die Person das Codewort nicht selbst ausspricht, reagiere wie in den oberen Punkten. Wenn du zu Hause bist, lass die Person gar nicht erst in das Haus hinein. Frage an der Gegensprechanlage, was er oder sie will. Öffne Fremden niemals unsere Wohnungstür.
Wenn keine fremde Hilfe in der Nähe ist und du nicht wegrennen kannst, weil dich jemand festhält: TRITT ZU! Ganz fest gegen das Schienbein. Oder nimm deinen Ranzen und nutze ihn als Wurfgegenstand bzw. Barriere zwischen dir und dem/der Fremden. Dann renn weg.
Wenn du erstarrst vor Schreck und nicht treten kannst, lass dich fallen. Sei ein nasser schwerer Sack und falle einfach in dich zusammen. Das überrascht den oder die Angreifer:in. Nutze den Überraschungsmoment, wenn du kannst.
Wenn dich aus einem Auto heraus eine Person anspricht, bleibe auf Distanz und gehe weiter. Suche dir dringend Hilfe.
Meine Tochter nickt stumm. Ich weiß, dass die Punkte zu viel für sie sind. Deshalb wiederholen mein Mann und ich diese beständig. Wir üben diese gemeinsam, um mehr Routine zu bekommen.
»Mami, ich habe Angst.«, guckt sie mich mit großen Augen an. Ich drücke mein Mädchen fest an mich.
»Ich weiß, mein Schatz. Ich kenne das beklemmende Gefühl, dass du gerade hast. Mir ist so etwas schon zweimal passiert.«
Dann erzähle ich ihr die Geschichte von dem Mann, der vor unserem Gartenzaun stand und unbedingt mit ins Haus kommen wollte. Weil er angeblich einen Zettel und einen Stift benötigt. Ich war damals vielleicht 9 Jahre jung, aber fühlte sehr genau, dass mit dem Mann etwas nicht stimmte. Neben mir bellte unsere Hündin. Ich verneinte seine Bitte und lief zurück ins Haus, schloss mich ein und wartete auf meine Eltern. Dieses Ereignis hatte mich sehr erschreckt.
Viele Jahre später, ich war gerade 20 Jahre, ereignete sich ein weiterer Vorfall. Ich war in der City und erledigte ein paar Einkäufe. Ein offenbar betrunkener Mann rief mir irgendetwas zu. Ich reagierte nicht und ging weiter. Ein paar Schritte später fühlte ich, dass mir jemand folgte. Es war der Mann von eben. Erschrocken zog ich mein Tempo an und steuerte in das nächste Geschäft. Der Mann lief hinterher, in das Geschäft hinein. Er hing mir buchstäblich an den Fersen. Die Menschen um mich herum, auch die Ladenmitarbeiter beobachteten die Situation – aber taten NICHTS. Ich bekam Angst. Irgendwoher aus meinem Hirn kam die Information, diesen Mann lautstark anzubrüllen und mit der Polizei zu drohen. Erstens, um ihn selbst zu erschrecken und zweitens, um die Menschen um mich herum zu sensibilisieren, dass meine Situation prekär ist. Ich schrie ihn an. Es passierte: NICHTS. Mittlerweile stürmte ich aus dem Geschäft, meine Gedanken schlugen Purzelbäume und mein Herz hämmerte bis zu den Ohren. Gegenüber befand sich ein Stand der Tiernotrettung. Dann tat ich das wahrscheinlich richtige: Ich sprach einen der Aktionäre direkt an und flehte um Hilfe. Der junge Mann blickte über meine Schulter, sah den anderen Mann und nahm mich sofort zur Seite. Gemeinsam warteten wir eine Weile, ob der Betrunkene von selbst geht. Doch das tat er nicht. Er blieb. Also fragte mich der junge Aktionär, ob ich mit dem Auto in der Stadt wäre. Er wollte mich dorthin begleiten, damit ich endlich aus der Situation käme. Ich nickte und beschrieb, wo mein Auto stand. Zusammen liefen wir die wenigen 200 Meter und ich schlüpfte schnell in mein Auto. Der junge Mann musste tatsächlich noch den anderen abwehren, weil er sich vor mein Auto schmeißen wollte. Dieses Ereignis brannte sich in mein Gedächtnis ein. Und auch, dass ich Menschen ganz direkt ansprechen muss, um Hilfe zu bekommen. Laut rufen allein, hilft oft nicht. Selbst jetzt beim Aufschreiben zittere ich noch innerlich.
Ich verstehe mein Kind und ihre Gefühle sehr gut. Zum Glück kam sie nicht in direkten Kontakt mit dem Mann. Zum Glück waren da noch andere Frauen. Zum Glück ist nichts weiter passiert. Doch wenn das Glück nicht gleich zur Stelle ist, können Sensibilisierungs- und Präventionsmaßnahmen helfen. Oder ein Selbstverteidigungskurs.
Der Vorfall ist der Polizei gemeldet. Mittlerweile auch der Aufenthaltsort des Mannes. Dank unseres großen Netzwerkes und einer super funktionierenden nachbarschaftlichen Hilfe, sind wir viele Schritte weiter. Zurück bleiben ein mulmiges Gefühl und die Bitte um weitere Unterstützung.
Als Autorin habe ich die Möglichkeit, Themen sichtbar zu machen. Als Illustratorin unterstreiche ich diese visuell, damit sie im Gedächtnis bleiben. Ich möchte ein Sensibilisierungs- und Präventionsplakat + Flyer erstellen. Darauf sind die oben genannten Punkte als Bild und Text abgebildet. Wenn du weitere Punkte und Hilfe aufführen kannst, schreibe mir bitte an: mandy@storyofgold.de . Ich nehme diese auf und visualisiere sie. Die Plakate und Flyer kommen an Schulen und Kitas. Ich freue mich, wenn du mich dabei unterstützt.
Von Herzen DANKE,
Mandy
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